Der Spiegel – ein narratives Medium

Die Online-Artikel des Spiegels weisen mit durchschnittlich 598 Wörtern pro Artikel die deutlich geringste Beitragslänge auf. Es werden kurze prägnante Sätze formuliert, die in der Regel eine hohe Informationsdichte aufweisen. Dabei wird kein großer Wert auf eine besonders „schöne“ Schreibweise gelegt – der Fokus liegt hier viel mehr auf Schnelligkeit, einer hohen Informationsdichte und der Aufbereitung durch Bild- und Videomaterial. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die Medialität mit 36,6 Prozent der vorherrschende Diskurs ist, gefolgt von Agenturmeldungen (26 Prozent), welche mehr oder weniger aufbereitet wurden. Deutlich wird somit, dass die beschleunigte Informationsverbreitung bei Spiegel Online zu einer hohen Abhängigkeit von fremdproduzierten Inhalten führt. Durch den erhöhten Aktualitätsdruck entsteht hier in kurzer Zeit viel Inhalt zu geringen Kosten (vgl. Schranz/Eisenegger 2013: 4).

Das Printprodukt der Spiegel verarbeitet das Ereignis auf andere Art und Weise. Auffällig ist hier, dass die Wortanzahl innerhalb der einzelnen Artikel sehr stark variiert. So gibt es einen „Leitartikel“, der den Ablauf der Pariser Terroranschläge nachzeichnet. Dieser ist anhand von Zwischenüberschriften unterteilt in: „Die Tatorte und die Taten“, „Die Täter“, „Die Toten und die Überlebenden“ und „Die Folgen“. Es fällt auf, dass im Text, bis auf die konkreten Namen der Opfer, keine neuen Informationen zu den Pariser Anschlägen genannt werden. Der Leitartikel umfasst knapp 7.000 Worte und unterscheidet sich sprachlich deutlich zu den Online-Artikeln des Spiegels. Er erzählt den Ablauf der Pariser Anschläge wie eine Geschichte und ist somit dem narrativen Diskurs zuzuordnen. Die Sprache wirkt blumig, ausschmückend – beinahe künstlich aufgebläht. Es entsteht der Eindruck, dass die Informationen, die dem Leser zu dieser Zeit durch die ausführliche Online-Berichterstattung bekannt waren, durch die blumigen Formulierungen aufgewertet werden sollen. Hinzu kommen deutlich mehr Hintergrundinformationen, die aber teilweise keinen Mehrwert für den Leser bieten. So wird zum Beispiel erwähnt, dass die Mutter eines Attentäters für einen Kulturverein arbeitet und seine Schwester in Dubai wohnt. Durch Zeugenaussagen und namentliche Nennung der Opfer wird außerdem ein starker Fokus auf Emotionalität gesetzt. Generell kommt der narrative Diskurs in der Printausgabe des Spiegels mit 40 Prozent am häufigsten vor. Diese Art des Schreibens stellt hier keine Ausnahme dar. Schon 1957 stellte Enzensberger in seinem Essay „Die Sprache des Spiegels“ die These auf, dass der Spiegel gar kein Nachrichtenmagazin, sondern ein Story-Magazin sei (vgl. meedia: 2011). Diese Vermutung hat sich durch die Diskursanalyse erneut bestätigt.

Die weiteren Artikel des Spiegels beschäftigen sich hingegen eher mit den Folgen des Terrorismus für Deutschland. In diesen Artikeln werden daher keine Informationen mehr zu den eigentlichen Terroranschlägen genannt. Der Fokus in der Printausgabe ist somit, auch aufgrund der zeitlichen Distanz, nicht mehr auf die reine Informationswiedergabe fokussiert, sondern stellt eine Aufbereitung der bekannten Informationen mit verschiedenen Hintergrundartikeln dar.